(Neu: Aussagen von US-Finanzminister Paulson, Börsenschluss)
Die weltweite Finanzmarktkrise schlägt auf die Konjunkturerwartungen in Deutschland durch. Das Stimmungsbarometer des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sackte um 17,3 Punkte ab und liegt nun mit minus 6,9 Punkten auf dem tiefsten Stand seit Dezember 2006. Experten und Politiker versicherten am Dienstag abermals, die US-Hypothekenkrise werde die Konjunktur höchstens geringfügig belasten. ZEW-Präsident Wolfgang Franz räumte aber ein, deutsche Exporte könnten unter einer schwächeren Kaufkraft der US-Verbraucher leiden. Vom amerikanischen Immobilienmarkt kamen neue schlechte Nachrichten. Auch der Geldmarkt hat sich noch nicht ganz normalisiert, die Banken griffen bei von der US-Notenbank und der EZB zusätzlich zur Verfügung gestellten Geldern zu. US-Finanzminister Henry Paulson warnte, die Kreditkrise sei noch nicht ausgestanden.
GEFAHREN AUCH FÜR DEUTSCHLAND
Die vom ZEW befragten 291 Finanzmarktexperten sahen ‚Gefahren, die von der Krise für die realwirtschaftliche Entwicklung in den USA ausgehen und die auch auf Deutschland übergreifen können‘, hieß es. Vor allem seien Banken und Versicherungen betroffen. Aktien aus den Branchen schlossen im Minus, der DAX schaffte dennoch ein dünnes Plus von 0,23 Prozent auf 7424,75 Punkte.
ZEW-Präsident Franz, der zugleich einer der ‚Wirtschaftsweisen‘ ist, zeigte sich optimistisch: ‚Mögliche Rückwirkungen auf die deutsche Konjunktur werden sich nach derzeitigen Kenntnissen in engen Grenzen halten.‘ Bundesfinanzminister Steinbrück (SPD) betonte, nach Aussage aller Experten seien keine Übersprungeffekte der Kreditkrise ‚auf die Realwirtschaft‘ erkennbar.
EZB TEILT MEHR GELD ZU
Der Weltwirtschaftsklima-Index des Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung stieg für den Herbst von 106,5 Punkten im vorangegangenen Quartal auf 113,6 Punkte und liegt damit deutlich über dem langjährigen Durchschnitt. ‚Man geht davon aus, dass die Liquiditätsprobleme in den Griff zu bekommen sind‘, sagte ifo- Chefvolkswirt Gernot Nerb. ifo befragt für den Index vier Mal im Jahr mehr als 1000 Experten aus über 90 Ländern.
Auf dem Geldmarkt war die Krise weiter zu spüren. Die Europäische Zentralbank (EZB) teilte den Banken der Euro-Zone bei ihrer regulären Ausschüttung mehr Geld zu als sie normalerweise benötigen. Mit 275 Milliarden Euro waren es 46 Milliarden Euro mehr als die Banken nach EZB-Prognosen eigentlich gebraucht hätten. Die US-Notenbank pumpte in den Geldmarkt weitere 3,75 Milliarden Dollar. Finanzminister Paulson sagte, es werde noch eine Zeit dauern, bis die Turbulenzen überwunden seien. Gleichwohl sei die Verfassung der US-Wirtschaft nach wie vor gut und die US-Notenbank könne die Krise meistern.
SACHSEN LB SUCHT WEITER PARTNER
Die massiven Zahlungsausfälle auf dem US-Hypothekenmarkt hatten in den vergangenen Wochen eine Liquiditätsklemme auf dem Geldmarkt ausgelöst. Da die faulen Kredite in Anleihen verpackt und weltweit verkauft wurden, liehen die Banken aus Angst vor Zahlungsausfällen einander kein Geld mehr. Notenbanken pumpten hunderte Milliarden Euro in den Geldmarkt, um die Liquidität der Banken zu sichern.
Bei der Landesbank Sachsen, die von der US-Hypothekenkrise schwer getroffen wurde und eine Kreditlinie von 17,3 Milliarden Euro bekam, wird weiter nach einem Partner gesucht. ‚Die Politik Sachsens läuft auf strategische Partnerschaften hinaus. Verkauf oder Übernahme sind nicht gewollt‘, sagte der Vorsitzende des Haushalts- und Finanzausschusses des Sächsischen Landtages, Ronald Weckesser (Linksfraktion), der dpa. Nach dem Milliarden-Debakel wird spekuliert, dass die einzige ostdeutsche Landesbank, die in Eigenregie agiert, ihre Selbstständigkeit verlieren könnte. Vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) hieß es dazu am Dienstag nur: ‚Wenn die Lage sich beruhigt hat, werden wir mit den Eigentümern Gespräche über die Struktur der Sachsen LB führen.‘
STEINBRÜCK VERTEIDIGT BANKENAUFSICHT
Steinbrück nahm nach der Milliarden-Schieflage der Sachsen LB und einer ähnlichen Krise bei der Mittelstandsbank IKB die Bankenaufsicht in Schutz. ‚Wenn es eine ganze Reihe von Produkten gibt, die inzwischen Banken außerhalb ihrer Bilanzen handeln, und wenn es viele Indizien gibt, dass diverse Prüfungen stattgefunden haben bis in die jüngste Zeit, es aber auch für nachfragende Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsmitglieder keine Indizien für eine Zuspitzung oder bestimmte Risiken gegeben hat, bitte ich dies in die Bewertung mit einzubeziehen.‘ Er habe keine Indizien für eine Schieflage anderer Banken, sagte Steinbrück. Allerdings habe er vor zwei oder drei Wochen auch die Lage bei Sachsen LB nicht für möglich gehalten.
In den USA zog die Hypothekenkrise weitere Kreise. Der Finanzdienstleister Capital One macht sein Hypothekengeschäft dicht, das vor drei Jahren noch mit mehr als sechs Milliarden Dollar bewertet wurde, und streicht 1.900 Jobs. Countrywide, der größte US-Immobilienfinanzierer, baute 500 seiner 60.000 Arbeitsplätze ab. Die amerikanischen Börsen verzeichneten im frühen Handel ein leichtes Plus, nachdem am Vortag Anleger in sicheren US-Staatsanleihen Schutz gesucht hatten. by comdirect
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