Nachdem an der Börse die Hoffnungen auf eine Jahresendrallye allmählich schwinden (sofern sie je berechtigt waren), ist es für uns an der Zeit, am Ende des aktuellen Börsenjahres einmal über den Tellerrand der kurzfristigen Betrachtung zu schauen und mit der Suche nach den Trends der Zukunft zu beginnen.
Bei der Beobachtung des täglichen Auf und Ab an den Märkten laufen wir schnell Gefahr, die langfristigen Trends aus dem Blick zu verlieren. Alle, die nicht Zocken sollten sich die Zeit nehmen und die dauerhaften Entwicklungen im Auge behalten. Das Betrift Bürger, Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler gleicher Maßen.
Heute geht es also nicht um Konjunktur, sondern um Wachstum. Die Forscher streiten sich seit Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Ökonomie darüber, wie Wachstum entsteht.
Die einen sagen: Wachstum wird „exogen“ verursacht, durch eine neue Erfindung, durch eine Änderung der Politik etc. Die andere Meinung ist: Wachstum ist „endogen“. Ständig wird in neue Produktionstechnologien und in Humankapital (sprich „Aus- und Weiterbildung“ von Mitarbeitern) investiert, dadurch wird Wachstum ausgelöst. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen.
Bahnbrechende Erfindungen treiben die Wirtschaft an
Zwei Wissenschaftler, Joseph Schumpeter und Nikolai Kondratjew, die beide zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ihre Theorien aufgestellt haben, werden noch heute gerne aus der Schublade geholt, wenn es um die Erklärung von Wachstumstrends geht.
Laut Schumpeter wollen Unternehmer ihre wirtschaftliche Position ständig durch Innovationen verbessern. Der Unternehmergeist erzeugt und nutzt Innovationen und treibt damit Wirtschaftswachstum und sozialen Wandel voran. Kondratjew, ein sowjetischer Theoretiker, prägte den Begriff der langen Zyklen, die im Kapitalismus quasi automatisch entstehen. Schumpeter griff diese Theorie auf und prägte den Begriff der Basisinnovation als Grundlage weiterer bahnbrechender Erfindungen, die ein lang anhaltendes Wirtschaftswachstum begründen.
Lange Zyklen: Von der Industriellen Revolution ins Informationszeitalter
Kondratjew-Zyklen dauern mindestens 25 und höchstens 50 Jahre. Der erste lange Zyklus wurde demnach ausgelöst durch die industrielle Revolution um 1780 durch die Erfindung des mechanischen Webstuhls und der Dampfmaschine. Dann begann etwa 1830 der „Eisenbahn-Kondratjew“, der Zyklus zwischen 1890 und 1940 wird als „Elektrotechnik- und Chemie- Kondratjew“ bezeichnet, danach folgte der „Automatisierungs-Kondratjew“ und seit 1990 befinden wir uns als also im 5. Kondratjew, gemeinhin bezeichnet als das „Informationszeitalter“.
Diese Theorie ist so eingängig, dass sie immer wieder aufgegriffen wird. 2004 erhielten zwei amerikanische Wissenschaftler, Edward Prescott und Finn Kydland, den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Arbeiten zur Entstehung von Konjunkturzyklen. Die Grundannahme auch hier, Zyklen werden durch außerordentliche Ereignisse ausgelöst wie Naturkatastrophen oder eine dramatische Verteuerung der Energie oder eben eine bahnbrechende Erfindung.
So weit, so gut. Doch in welchem Stadium befinden wir uns jetzt? Folgen wir Kondratjew, dann ist der „Informationstechnologie-Zyklus“ noch in vollem Schwung. Seit der 4. Zyklus Ende 1990 ausgeklungen ist und die Wirtschaft in den 1980er Jahren weltweit mit nur sehr geringen Wachstumsraten zugelegt hat, beobachten wir seitdem wieder steigende Wachstumsraten. Auch für die kommenden Jahre werden weltweit hohe Wachstumsraten zwischen 5 und 6% vorhergesagt. Stimmt die Theorie, dann befinden wir uns in der Hochphase des 5. Kondratjew und das könnte noch 10 bis 15 Jahre so weiter gehen. Selbst einzelwirtschaftlich betrachtet können wir diese These belegen. IT- oder Internet-Firmen weisen nach wie vor hohe Umsatzzuwächse und hohe Gewinne aus.
Energietechnik oder Wellness – wie geht es weiter?
Natürlich sind wir schon neugierig, wie es danach weitergehen wird. Darüber streiten sich die Geister. Ist es die Bio- oder die Nanotechnologie? Oder werden vielmehr Umwelttechnologien und Energiespartechnik den neuen Zyklus bestimmen.
Kondratjew wird auch gerne vor den Karren einzelner Trendgurus gespannt. Wenn Sie zwischen 2002 und 2004 eine Internet-Suche zum Thema Kondratjew durchgeführt hätten, dann wären Sie unweigerlich auf zahlreiche Links gestoßen, die Sie zu Gesundheit- und Wellness-Themen geführt hätten Das war damals die vorherrschende Meinung. Ausgelöst hatte das ein Aufsatz von Leo Nefiodow, der erklärte, die Sicherung der psychosozialen Gesundheit werde der Wachstumstreiber der Zukunft.
Das war vor allen Klimakatastrophen–Szenarien. Heute spricht davon niemand mehr. Jetzt heißt es wieder, neue Energietechnologien oder Infrastrukturinnovationen wie Wasseraufbereitung, effiziente Nutzung von Rohstoffen seien die neuen Wachstumsauslöser. Wahrscheinlich ist es für eine genaue Aussage zu früh. Entscheidend wird unter anderem sein, welche politischen Entscheidungen in Sachen Klima oder etwa Gesundheit getroffen werden.
Zu der Sicherung der psychosozialen Gesundheit wird die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen sicher gehören. Die ersten zaghaften Schritte erleben wir nun bei der hitzigen Debatte über Mindestlöhne – die uns nicht weiter bringen werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wird den sozialen Frieden, psychosoziale Gesundheit und die Existenzangst durch Grundsicherung der elementaren Bedürfnisse ausreichend stabilisieren, so daß alle Bürger frei genug sein werden, sich Gedanken über die anderen Probleme der Gegenwart und vor allem der Zukunft zu machen.
Die für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens erforderliche große Steuerreform wird auch die langersehnte Entlastung der Löhne ermöglichen, Vereinfachung und Gerechtigkeit wieder herstellen. Das demokratische Prinzip der Gleichheit im Staatsvertrag wäre dann soweit hergestellt, dass Neiddiskussionen keinen Platz mehr hätten, denn alle könnten von der gleichen Plattform der Existenz ausgehen und dorthin wieder zurückkehren.
Tabelle 6:
Einsparmöglichkeiten bei steuerfinanzierten Sozialleistungen nach Einführung des Solidarischen Bürgergeldes
grundeinkommen-finanzierung.htm
(Tabelle aus „Das Solidarische Bürgergeld – Analysen einer Reformidee“, Hrsg. Michael Borchard / im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, Lucius @ Lucius, Stuttgart 2007)
Es scheint so, als ob alle anderen Innovationen maßgeblich davon abhängig sein werden, wie wir in der Zukunft mit den Transferleistungen umgehen werden – bedingungslos für freie Bürger oder entwertend für demoralisierte Abhängige von durchgeprüften Formular-Berechtigungs-Scheinen. Finanziel macht es unter dem Strich keinen Unterschied, wie die Existenzsicherung aus den Steuern auf die Bürger verteilt (transferiert/transportiert) wird.
Um auf die Wissenschaftler zurück zu kommen, Kondratieff usw., sind alle lange Zyklen im Prinzip mit einer gigantischen Verbesserung des am Ende des vorigen Zyklus nicht ausreichenden Transportes einhergegangen. Entweder auf der Erde wie per Schiene oder Automobil, oder als Information, in deren Wachstumszyklus wir uns noch befinden.
Nun kommt durch das bedingungslose Grundeinkommen der Transport (Transfer) der Sicherung von elementaren Bedürfnissen, den sich die vorigen Zyklen nicht leisten konnten und auf die in dem nächsten Zyklus nicht verzichtet werden kann – sofern wir eine tatsächliche und nachhaltige Innovation nicht verschlafen wollen („Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, hatten wir schon mal).
Das bedingungslose Grundeinkommen wird im Zusammenspiel der anderen, dann möglichen Maßnahmen die psychosoziale Gesundheit ermöglichen, die wiederum eine Voraussetzung für die Befreiung von kreativen Potentialen der Bevölkerung darstellt.
Bedeutet: die Menschen sind nicht faul sondern daran gehindert, sich Innovationen auszudenken und zu trauen, diese auszuprobieren – also doch „neue Transportwege“ – den Weg zu sozialen Standards frei machen.