Die Wiesbadener Erklärung stellt in keinster Weise neue Konzepte vor, schon gar nicht einen Systemwechsel für nachhaltige Zukunftsplanung (von der Rückkehr zum DDR-System mal abgesehen). Die Wiesbadener Erklärung ist an Plattheiten und Unproffessionalität kaum zu überbieten. Wir werden uns mit Nachhaltigkeit von ordentlichen und verantwortungsvollen Politik beschäftigen müssen. Ich glaube nicht, dass wir es zulassen können, unsere Republik wie einen Kindergarten mit Händeklatschen und Strafecke regieren zu lassen. Wachsamkeit von mündigen Bürgern ist mehr denn je gefragt und nötig.
Diesmal ist es nicht die Kuschelromantik der SPD oder der Grünen, die der CDU eine Klarheit und Profil in den Falstricken der Komprommisse innerhalb der Koalition raubt – die CDU selbst verstrickt sich in Widersprüche eigener Aussagen und führt ihre Mitglieder und den Wähler an der Nase herum. Nicht nur, das Frau Merkel ihren erfolgreichen Profil der ersten Kanzlerin Deutschlands mit Beschwichtigungen und Märchenstunden fast wie planvoll demontiert, nein, es müssen sich auch bisherige Hoffnungsträger der Vernunft in der CDU, wie Herr Wulf und Bosbach, in die Reihen der über Nacht mutierten Kämpfer in den Krieg gegen die Jugend eingliedern – brave Parteisoldaten, die Ihren schwächelnden Populisten Roland Koch in seinem hessischen Wahlkampf nicht im Regen stehen lassen wollen.
Brave Parteisoldaten brechen einen Krieg eben gegen die Jugend vom Zaun, die sie noch vor kurzem als Hofnungsträger der Nation beschworen haben. Nach jeder PISA-Studie in grüblerische Monologe verfallen, wie es denn dazu kommen konnte, dass die Nation der Dichter und Denker die hinteren Plätze der Bildungsfähigkeit belegt.
Und warum verlieren die Deutschen die Lust, Kinder zu bekommen?
Und warum haben wir immer weniger Facharbeiter, immer weniger qualifizierte Fachleute – beinahe in jedem Berufsbereich?
Moment – diese Fragen sind gerade nicht interessant. Erst einmal müssen die Probleme in der U-Bahn München geregelt werden, die Herrn Koch den Schlaf im Vorwahlkampf rauben. Zwei ausländische Jugendliche hatten in München vor Weihnachten einen Rentner brutal überfallen. Koch sagte: „Eine schnellere Abschiebung ist am Ende für einige wenige, die in einer solchen Dramatik Straftaten begehen, die richtige Forderung.“ In Hessen wird am 27. Januar ein neuer Landtag gewählt. Mit der Forderung nach einem härteren Jugendstrafrecht stellt sich die CDU hinter die Forderungen von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU).
Eigentlich sind Klausuren Veranstaltungen, in denen sich die Teilnehmer zum Gedanklichen Austausch in Ruhe zurückziehen, damit sie frei vom alltäglichen Getöse und Reizüberflutung über wichtige Fragen des weiteren Vorgehen beraten können. Bei der Klausurtagung des CDU-Vorstandes in Wiesbaden ist gerade das Gegenteil rausgekommen. In einer sog. einstimmig beschlossenen „Wiesbadener Erklärung“ fordert die CDU neben dem schärferen Jugendstrafrecht eine Kindergeld-Erhöhung zum Jahresanfang 2009 und eine Steuerreform mit niedrigen Steuersätzen.
Die Überschriften der Wiesbadener Erklärung lesen sich wie Schlagzeilen ener trotzigen Gewerkschaft, die mit Aufwärmen von alten Thesen versucht, verlorengegangene Wähler und Sympathisanten wieder hervorzulocken.
Die „Wiesbadener Erklärung“ zum Jugendstrafrecht
- Jugendliche Straftäter sollen frühzeitig in Erziehungscamps mit Therapiekonzepten ein Leben mit festen Strukturen und Respekt lernen.
- Ein „Warnschussarrest“ soll bei Bewährungsstrafen für gewalttätige Jugendliche möglich sein.
- Für 18- bis 21-Jährige soll Erwachsenenstrafrecht die Regel werden.
- Bei schwersten Verbrechen soll die Höchststrafe für Heranwachsende, für die wegen mangelnder Reife Jugendstrafrecht gilt, von zehn auf 15 Jahre angehoben werden.
- Ausländer sollen schneller abgeschoben werden können – mit zwingender Ausweisung bei einer Haftstrafe ab einem Jahr ohne Bewährung.
- Die Sicherungsverwahrung soll auch bei Heranwachsenden bei einer Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren möglich sein.
- Ein Fahrverbot soll im Jugendstrafrecht verankert werden.
- Geplant ist auch ein besserer Schutz von Opfern.
Koch drohte Beck mit härteren Bandagen, wenn er die Unions-Forderungen blockiere: „Es gibt durchaus Möglichkeiten, ihm das noch deutlicher zu erklären als bisher.“ Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) warf Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) „naive Sozialromantik“ vor. „Bei hoch kriminellen Serientätern ist mit erhobenem Zeigefinger und gut Zureden nichts gewonnen.“ Koch sagte aber nicht, warum er nicht dafür sorgen will, dass es in den Strafvollzugsanstalten, bei der Polizei, bei der Jugendarbeit und im Erziehungsbereich endlich mehr Stellen geben kann, so dass all diese Bereiche ihren erheblich angestiegenen Aufgaben auch Herr werden können – damit sie endlich das machen können, wofür wir sie brauchen – zum vermitteln von sozialem Kompetenzen.
Es mutet gerade so an, als ob die Vorstandsmitglieder die deutsche Gesetzgebung nicht kennen würden. Die meisten Experten aus dem Strafvollzug, von der Polizei, der Gerichten und Rechtsanwälte, der Jugendarbeit und Erziehungswissenschaftler sagen ganz deutlich, dass es Gesetze genug gibt – sie werden nur nicht angewendet, oder nicht richtig angewendet. Und die vorgeschlagenen Camps sind in verschiedenen Ländern ausprobiert und gescheitert. Verbesserungen in schief gelaufenen Lebensgeschichten lassen sich nicht mit Wahlkampfpopulismus zum sozial kompetenten Leben korrigieren, sondern nur durch Experten für Pädagogik, Kommunikation und Psychotherapie – und dann nicht in der Tagespolitik, sondern nur in einem Klima von Ernsthaftigkeit und dem Willen zum autonomen, demokratischen Leben aller.
Nur die fehlen eben auch bei der Regierungspartei, der CDU. Merkel sagte, sie sei es gewöhnt, mit der SPD „dicke Bretter“ zu bohren. Das Gesprächsangebot von Beck zeige, „dass die Sozialdemokraten die Brisanz des Themas eventuell erkannt haben“. Mehrere CDU-geführte Länder hatten schon 2003 und 2004 Maßnahmen für ein schärferes Vorgehen gegen Jugendkriminalität vorgelegt. Die SPD lehnte dies ab. Eine unendliche Geschichte, in der sich nicht einmal die Kanzlerin traut, nachhaltige Konzepte vorzustellen, sondern bleibt in dem alten Trott hängen – ein bisschen Verbesserung muss eben als eine große Verbesserung verkauft werden – die Menschen „da draußen“ werden es schon verstehen, denn sie fühlen wie wir „in der Mitte“. Aha, das soll also die 37x beschworene Mitte der Kanzlerin sein. Dann noch garniert mit weiteren Lockerungsübungen:
Die „Wiesbadener Erklärung“ zur Famlienpolitik
- Die CDU fordert ein höheres Kindergeld zum 1. Januar 2009. Die Höhe soll im Herbst festgelegt werden.
- Die CDU schreibt neben dem Ausbau der Kinderbetreuung bis 2013 auch das Betreuungsgeld für Eltern fest, die Kinder bis drei Jahre zu Hause erziehen.
- Der Kinderzuschlag soll weiterentwickelt werden, um Kinder aus der Sozialhilfe zu holen.
- Für Kleinkind- und Kinderprodukte des Alltags soll der ermäßigte Mehrwertsteuersatz geprüft werden
Die „Wiesbadener Erklärung“ zur Steuerreform
- Die Einkommensteuerreform ist Teil eines Zehn-Punkte-Programms für Wachstum und Beschäftigung. Bis Frühjahr 2009 will die CDU ein Eckpunktepapier für eine Steuerreform mit niedrigen Steuersätzen erarbeiten.
- Die Senkung von Lohnnebenkosten soll fortgesetzt werden, wenn es Anfang 2009 zusätzliche Spielräume gibt.
- Ein gesetzlicher Mindestlohn, der Arbeitsplätze vernichte, wird abgelehnt.
- Bis 2010 sollen Patenschaften erfahrener Bürger für rund 100.000 junge Menschen ohne Lehrstelle geschlossen werden.
Und das alles wird brav auf ZDFde.heute publiziert und mit den Kritiken aus der SPD garniert. Die CDU auf dem DDR-Kurs. Nichts in der Wiesbadener Erklärung deutet darauf hin, dass unsere Regierungsparteien für uns Verbesserungen ausgedacht haben – nur Augenbinden.
„Die CDU-Spitze diskutierte auch mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, über Risiken der Weltwirtschaft.“ – wird ganz beiläufig und wie nebenbei erwähnt. Dabei berührt die Frage der Risiken der Weltwirtschaft unsere wirtschaftliche Belange in mehr als ernsthaften Ausmaß. Es war schon immer in der Geschichte so, dass wenn Regierungen mit ihren Schulden nicht zurechtgekommen sind, keine Konzepte für wachstumsfähiges Gemeinwesen mehr zur Verfügung hatten, dann zum Mittel der Währungsreform, sprich Geldabwertung gegriffen haben, um ihre Staatschulden vemindern zu können. Dabei handelt es sich immer um eine Abwertung, die die Schuldenlast auf ein zehntel reduziert. Meistens gehen Regierung zu Banken oder Verleihern, wenn sie sich mit der Frage der Geldabwertung beschäftigen. Die Kriege sind teuer. Also ist ein Stellvertreterkrieg gegen die Jugend als Verschleierung der heißen Probleme gerade Recht. Was für ein Glück, Herr Koch, dass es die U-Bahn München gibt.