Guido Westerwelle und menschenwürdiges Existenzminimum

Über den Sozialstaat

Er habe überhaupt nichts zum Verfassungsgerichtsurteil gesagt. Die Debatte sei zynisch. Und: er spreche die Sprache, die jeder verstehe. Und er wolle eine geistig-politische Wende in Deutschland herbeiführen. Im Westerwelles Sinne ist es kein Umbau sondern Abbau für den Sozialstaat. Herr Westerwelle hat Recht, die von ihm polemisch und populistisch geführte Debatte sei zynisch. Eine soziale (nicht sozialistische) Debatte über Grundsicherung ist notwendig geworden. Debatte über die Würde des Menschen ist für Alle erforderlich geworden.

Banken gegen Hartz-IV-Empfänger

Die Unterstützung von sog. Hartz-IV-Empfängern kostet uns gerade mal ein Fünftel dessen, was wir für verzockte Banken ausgeben müssen. Wenn Politiker über das Ziel hinausschießen, dann haben sie einen Grund gefunden. Wenn ein Politiker durch demokratische Wahl plötzlich zum Außenminister wird und alle belächeln sein Englisch, dann ist es allenfalls eine Vorlage fürs Kabarett. Mehr nicht. Wenn aber ein Politiker als stellvertretende Regierungschef sagt, er habe den Finger in die Wunde deren gelegt, die nun am lautesten schreien, dann könnten wir viel früher anfangen und fragen: welche Wunde hat Herr Westerwelle, dass er sich den Finger selbst in eigener Wunde steckt und mit populistischen Äußerungen die erforderliche Hartz-IV-Diskussion zur Stammtischgerede vernebelt.

Außenminister fährt D-Zug

Wenn ein Politiker der Regierungspartei mit Regierungsamt beginnt, Gesellschaftssysteme zu vergleichen, dann sollte er davon was verstehen. Herr Westerwelle hat Sozialismus der ehemaligen Ostblockländer höchstens aus dem D-Zug gesehen und bei seinen Studien offensichtlich nichts verstanden, dass es sich dabei um systemrelevanten Selbstbedienungsladen der Nomenklatura zum Nachteil der Mehrheit gehandelt habe und es totalitäre Regime gewesen sind. Der Zynismus der hiesigen Debatten birgt die Gefahr in sich, dass nach Kassenlage die Würde des Menschen technokratisch behandelt wird, was in eine technokratische Gesellschaft führen würde.

Würde des Menschen

Das wesentliche, was die Richter am Verfassungsgericht entschieden haben ist, dass der Staat „Menschenwürdiges Existenzminimum sichern“ muss. Dafür werden vor allem Steuern erhoben und deshalb macht das Sozialbudget im Bundeshaushalt auch den größten Posten aus. Zu Recht.

Herr Westerwelle möchte die Mittelschicht davor schützen, dass sie zu viel für Arbeits- und Beschäftigungslose zahle, in dem man zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums auf Steuererleichterungen verzichten müsste. Kann man verstehen, wenn er es allen auf Plätzen und in Sälen in seinen Wahlreden mit ausgestreckten Mahnfinger versprochen hatte.

Immer moralisch, gut moralisch demokratisch. Ich möchte nicht weiter die Berichte über die Schelten in den Medien durchgehen (einige Hinweise am Ende des Artikels). Sie beschreiben ausreichend, welche Gruppen sich wie betroffen von Herrn Westerwelles Äußerungen sehen. Eine Million Spende an die FDP und Steuerentlastung der Hotelbetriebe haben wir gerade hinter uns. Was war das? Moralisch gesehen. Was war das vom Gesellschaftssystem her gesehen?

Herr Westerwelle ist in Bonn aufgewachsen, ist dort zu Schule gegangen und studierte dort. Bis zum Umzug des Bundestages nach Berlin hat Herr Westerwelle kaum was anderes außerhalb von Bonn gesehen als auf Urlaubsbilder passen würde.

Erhobener Zeigefinger

Trotzdem müssen wir bei einem Politiker, der stellvertretende Regierungschef und Parteivorsitzender ist, mehr verlangen dürfen, als nur erhobenen Zeigefinger mit einem flotten Spruch zu ernsten Themen. Es kann nicht sein, dass ein Politiker mit derart weiten Verantwortung nach den gigantischen Anteilen an staatlichen Geschenken an Banken allen Ernstes vom Sozialismus spricht, wenn es darum geht, dass in einem hochentwickelten Land wie Deutschland das menschenwürdige Existenzminimum gesichert werden soll. („..Normalerweise nehmen wir an, dass der Staat das Geld von den Reichen zu den Armen umverteilt. In diesem Fall aber wurden die Mittel der Armen und Durchschnittsverdiener zu den Reichen dirigiert…“ Lehren aus der Finanzkrise Das Geheimnis der unsichtbaren Hand von Joseph E. Stiglitz; erhielt 2001 den Nobelpreis für Ökonomie und ist Professor an der Columbia University in New York). Und als jemand, der nicht müde wird das Wort Demokratie ständig auszusprechen, mit populistischen Äußerungen versucht, Entscheidung des Verfassungsgerichts zu kritisieren.


Subventionskapitalismus als Sozialismus für Reiche

Der junge Westerwelle hat es noch nicht realisiert, dass er längst im Sozialismus lebt und selbst als Politiker dafür sorgt, dass der Sozialismus für seine Klientel wie geschmiert weiter läuft. Auch zum Nachteil der Mehrheit. Man hat manchmal den Eindruck, in der Bundesrepublik läuft beinahe kein Rad, wenn es nicht subventioniert wird. Schon vor der gigantischen Subventionierung der verzockten Banken wurde von allen Regierungen die Subventionsgießkanne fleißig geschwenkt. Es ist immer noch nicht bekannt, welchen Anteil am Preis eines Produktes Subventionen haben. Wir leben in einem Subventionskapitalismus, dessen Marktwirtschaft nicht vom Markt sondern von der Verteilung reguliert wird. Beides zusammen ergibt im Endergebnis Planwirtschaft. Europa und insbesondere Deutschland haben sich die Prinzipen des Marschall-Planes zu eigen gemacht und handeln danach bis heute.

Geistig-politische Wende

Geistig-politische Wende sieht anders aus. Statt dessen hat die FDP auf Angriff umgeschaltet, die Wahl in NRW macht sie nervös. Die FDP wird in NRW verlieren, zu Recht, nicht umsonst versucht Herr Pinkwart zu retten, was es zu retten gibt. Gegen seinen Parteivorsitzenden, durch dessen chaotisches Verhalten in der Öffentlichkeit und in der Koalition die Wahlen in NWR belastet. Denn die FDP ist nicht mehr das, was sie zu Genschers Zeiten gewesen ist. Für die Geringverdiener ist es die Frage, lohnt es sich noch zu arbeiten, für den Wähler, lohnt es sich noch die FDP zu wählen. Die FDP hat ihre ureigensten liberalen Ziele für Alle verlassen und bedient sich populistischen Manöver. Längst haben die Grünen die liberalen Inhalte mit den ökologischen so günstig verknüpft, dass deren Politik und Ziele eher zu den aktuellen und zukünftigen Fragen passt. So ein Ergebnis wie bei der Bundestagswahl bekommt die FDP als Chance nur einmal. Wütig schießt Herr Westerwelle um sich und man versteht langsam nicht, was er eigentlich will. Auf jeden Fall ist Herr Westerwelle noch nicht aus der Opposition rausgekommen und in der Koalition nicht angekommen. Die SPD muss wieder wachwerden und ihre klassischen Felder wiederbesetzen, sonst verlieren wir den Bezug zu menschwürdigen Sicherung der Existenz.


Einiges aus Medien

„….FDP-Chef Guido Westerwelle bleibt trotz vehementen Protests gegen seine Äußerungen zu Hartz IV bei seiner Position. „Die Kritik von links an meinen Aussagen ist scheinheilig. Ich habe nichts zurückzunehmen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Im Gegenteil: Die mich jetzt am lautesten beschimpfen, haben den Murks bei Hartz IV doch selber produziert. Hartz IV ist schließlich eine Erfindung von Rot-Grün.“…

„…Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wies Westerwelles Äußerungen zurück. Die „pauschale Beschimpfung ist einfach nicht zu rechtfertigen“, sagte er der „Leipziger Volkszeitung“….

„…Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen mahnte zur Zurückhaltung: „Wir brauchen uns gar nicht in solche Debatten zu verbeißen“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. Das Gericht habe klargemacht: „Das Existenzminimum muss in unserem Sozialstaat gesichert sein, denn es geht um die Würde des Menschen.“ Die Besorgnis Westerwelles über den Umgang mit dem Leistungsgedanken ließ die Ministerin nicht gelten: „Der Leistungsgedanke ist doch tief im Urteil des Gerichts verankert. Nur durch Arbeit kommt man aus Hartz IV wieder heraus.“… (ZDF.de/Heute)

„…Guido Westerwelle verteidigte am Freitag seine Wortwahl. Wer arbeite, müsse mehr haben als derjenige, der nicht arbeite. Wenn man das in Deutschland nicht mehr sagen dürfe, „dann ist das ein Weg in eine sozialistische Diskussion, den ich keinesfalls akzeptieren werde“, sagte der FDP-Chef in Berlin. Westerwelle hatte nach dem Karlsruher Urteil erklärt, die Debatte zur möglichen Anhebung der Hartz-IV-Sätze trage „sozialistische Züge“. Er schrieb in einem Beitrag für die „Welt“: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“…

„…Für den DGB tragen Westerwelles „Anfeindungen“ gegenüber Hartz-IV- Empfängern „verfassungswidrige Züge“. Westerwelle stigmatisiere die Betroffenen, „indem er ihnen pauschal Faulheit und Bequemlichkeit vorwirft, statt dafür zu sorgen, dass den Menschen Hartz IV erspart bleibt“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der dpa. 28 Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher gingen regelmäßiger Arbeit nach, „ohne sich aus dem Teufelkreis Hartz IV befreien zu können“….(ZDF.de/Heute)

Man dürfe nicht nur auf diejenigen sehen, die auch in Zukunft Solidarität brauchen. Vielmehr müsse auch auf die geachtet werden, „die dies alles erarbeiten“. Dies müsse in Deutschland auch noch gesagt werden dürfen. Ansonsten drohe im Lande eine „sozialistische Diskussion“, die er nicht akzeptieren könne.

Im Übrigen zeigten doch die wütenden Reaktionen aus dem linken Lager, dass er den Finger in die Wunde gelegt habe. „Für viele Linke ist Leistung ja beinahe eine Form von Körperverletzung. Dagegen wehre ich mich.“ Zu seiner Wortwahl sagte Westerwelle: „Ich spreche die Sprache, die verstanden wird.“ tagespiegel.de

„…Westerwelle wirft Kritikern Scheinheiligkeit vor

Guido Westerwelle entrüstet sich über seine Gegner: Viele, die ihn jetzt für seine Hartz-IV-Schelte verurteilen, hätten das „Murks“-Gesetz mit abgesegnet, wettert er. Doch Protest kommt aus allen Parteien. Sogar in der FDP wachsen die Zweifel an ihm – und zugleich die Kritik an der Union…“ Spiegel.de

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