Das große Schweigen
…“Die kirchliche Obrigkeit könne nicht leugnen, dass Informationen über diese Missbrauchsfälle „bis in die obersten Etagen der Kirche gedrungen sind. Das steht fest“, betonte Weisner. Er sprach von „vielen Fällen sexueller Gewalt, die durch das System Kirche gedeckt worden sind…“
Und das ist das Hauptproblem. Das Schweigen. Schweigen derjenigen, die für sich in Anspruch nehmen, für Liebe, Vertrauen, Glaube und Nächstenliebe gerade zu stehen. Im Moment ist es der unglaubliche Missbrauchsskandal in den Kirchen. In Zufluchtsorten des Glaubens. Spätestens dort kann man erwarten, dass ein sexueller Missbrauch und Gewalt nicht ausgeübt werden. Zölibat hin oder her, es ist einfach ein Verbrechen, im Bereich der Kirche auch eine Sünde.
Der Vatikan hatte am Wochenende angekündigt, die Aufklärung der Vorgänge bei den Regensburger Domspatzen unterstützen zu wollen. Das Wichtigste sei, „dass den potenziellen Opfern Gerechtigkeit widerfährt“. Man stehe hinter der Diözese, wenn es darum gehe, die „schmerzhafte Frage“ offen und entschlossen zu analysieren.
150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Buben leiden weltweit unter sexuellem Missbrauch. Meist stammen die Täter/innen aus dem familiären bzw. sozialen Nahraum. Damit fallen jene Menschen aus, denen Kinder normaler Weise ihre Nöte anvertrauen. Hier kommt der Schule eine ganz wichtige Funktion zu. Pädagogen/innen können durch Aufmerksamkeit dazu beitragen, Kindern aus ihrer leidvollen Situation heraus zu helfen. Sie brauchen die Aufdeckung nicht alleine durchziehen, sie brauchen das „Problem nicht zu lösen“. Wichtig ist es aber, die Not der Betroffenen wahrzunehmen und Hilfe einzuleiten. Es braucht meist ein Hilfs-Netzwerk, geeignete Einrichtungen finden Sie in den angebotenen Informationen. (UNESCO)
Alle, die mit Kindern und Jugendlichen Umgang haben, sitzen in einem Boot. Sie dürfen nicht das Vertrauen der Kinder oder Jugendlichen für ungezügeltes Ausleben von Gewalt- oder sexuellen Bedürfnissen missbrauchen. Genauso, wie wenn die Mutter nicht zuhört, als ihre Tochter ihr versucht über den Missbrauch durch den Vater zu erzählen, Hilfe und Schutz vor dieser Zerstörung bei Mutter sucht – schweigt die Mutter verständnislos und schämt sich vom Tabu grenzenlos umhüllt . Das Mädchen wird doppelt Missbraucht, einmal vom Vater und zum zweiten von der Mutter, die nichts dagegen unternimmt. Nebenbei wird die Mutter auch missbraucht – in der Familie ist es immer ein doppelter Missbrauch.
Genau gleich mehrfach findet es in der Kirche oder in anderen Verbänden, in der Schule, Internaten, Ferienheimen, Sportvereinen, überall dort wo Kinder und Jugendliche dem Schutz durch Erwachsene anvertraut, beim Missbrauch hilflos der Willkür der Erwachsenen ausgesetzt werden.
In der katholischen Kirche, die nun überall Gesprächsthema ist, stellt sich die Lage anders da. Auch wenn die Bischöfe nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass Missbrauch außerhalb der Kirche viel häufiger passiert, darf er innerhalb und von der Kirche gar nicht stattfinden. Das wissen die Bischöfe. Deshalb werden die Stimmen der Missbrauchten erst jetzt in der Öffentlichkeit laut, weil die Kirche die Beschwerden Jahrzehnte verschwiegen und in Archiven unter Verschluss gehalten hat. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
Eine Kirche, die davon leben will, Glaubensbekenntnis mit Macht zu organisieren, muss ihre Fehler auch mit Macht regeln. Schweigen, Tabus und so tun als ob nichts passiert wäre, nur bei den anderen, nicht bei uns – solche Handlungsweisen von Kirchenverantwortlichen sind fahrlässig und begünstigen kriminelle Handlungen im Dunkeln der Kirchenmauern, was auch immer dieser beherbergen.
Katholische Kirche kann sich auf eine tausendjährige Geschichte ausreden: wir haben immer schon so gehandelt, wir haben immer Macht ausgeübt und zu kriminellen Taten geschwiegen. Dafür haben wir gut geschützte Archive. Gerade so, wie wenn ein Archiv für sich ein Gewissen wäre und eine Absolution bekommen könnte. Nein. Seit den Kreuzzügen geht der Missbrauch schon, in der Hexenverfolgung erreichte sie einen institutionalisierten Höhenpunkt. Der Glaube hat sich bis heute davon nicht erholt. Glaubensbekenntnis und der Glaube sind sehr unterschiedliche Verständnisse des persönlichen Lebens. Die Kirche hat nicht das Recht, hier mit Macht für sich selbst die Realitäten umzudefinieren.
Solange die Kirche die Missbräuche und Gewalttaten erst mal von ihren eigenen Bediensteten nicht rückhaltlos in Kooperation mit den Staatsanwaltschaften aufklärt, solange ist sie in der Position der Mutter, die nicht zuhört, schweigt und nicht hilft. Die katholische Kirche missbraucht damit abermals die bereits traumatisierten Opfer. Die oben aufgeführten Zahlen der UNESCO zeigen, welche Dimension der Missbrauch und Gewaltanwendung von und an Kindern und Jugendlichen erreicht. Gerade dir Kirche müsste hier in erster Reihe bei der Aufklärung und Verhinderung von Gewaltverbrechen aktiv werden und zeigen, wie Moral nicht nur gepredigt sondern alltäglich gelebt werden kann. Tut die Kirche das nicht, setzt sie den Glauben aufs Spiel.
Wenn 223 Millionen Kinder und Jugendliche weltweit sexuell missbraucht werden, dann werden durch die Täter 223 Millionen posttraumatische Belastungsstörungen weltweit verursacht. Ich glaube, wir haben es mit einer generellen Missachtung von Kindern und Jugendlichen zu tun. Hier müssen wir umdenken und anstatt Verbrauchswerte menschliche Werte in Vordergrund stellen.
Viele quälende Fragen.
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